Kesser, Hermann

Transkription

vor einem halben Jahrhundert habe ich Dich auf einem Musikfest aus der Ferne zum ersten Male gesehen als die junge Gattin des aufgehenden Meisters Gustav Mahler und als das schönste frauliche Feuerzeichen einer noch paradiesischen und unverdüsterten Zeit, ein Zeichen, das mein Gedächtnis niemehr verlaßen hat. Jahrzehnte gingen über Europa hinweg, bis dann Franz Werfel, der unvergessliche freundschaftliche Geist, zwischen uns die Brücke zu einer Gemeinschaft geschlagen hat, zwischen Dir, die längst zum Sinnbild einer beglückenden Kraft für Deine Gefährten und Freunde geworden war und mir, dem Dichter, der niemals die Liebe für Musik verloren hat, die ich mir aus dem Dasein nicht wegzudenken vermag. Seither bin aus Begegnungen in der alten und neuen Welt Dein unaufhörlicher Freund geworden, immer gehoben und aufgerichtet, wenn ich in Wien und zuletzt in New-York in Deiner Nähe sein konnte. Ich freue mich, wenn Du mich heute in dem Kreis der Menschen schaust, die Du mit dem inneren Auge als Deine wahren und Deinem Leben verbundenen, getreuen Gefährten der höchsten Geselligkeit betrachtest. Was Du, der schöpferische Begleiter und Kamerad der Künstler, Dichter und Denker, geschaffen und bewirkt hast, wird bleiben. Es leuchtet als unvergängliches Beispiel der Liebe über alle Dunkelheiten hinweg. Es ist himmelwärts und unsterblich eingeschrieben in die Werke und Herzen, als etwas Einmaliges, so wie Dein Wesen einmalig ist. Sei heute in Bewunderung und Verehrung von meiner Frau und mir gegrüßt mit dem innigsten Wunsch, Du möchtest grenzenlos leben, und in ewiger Gesundheit immer wieder auferstehen, für uns, die Dichter ein sternhelles Symbol und Dir selber eine Erfüllung in pausenloser und unermüdlicher Vollendung!

handwritten letter from Hermann Kesser

Hermann Kesser (1880-1952)

Zum 31. August 1949
Dein Hermann Kesser

Kurzbiographie

Der Schriftsteller Hermann Kesser wurde 1880 in München geboren. Nach Studium und Promotion am Konservatorium in Zürich war er zunächst als Journalist in Berlin, Rom und Wiesbaden tätig und arbeitete dann als freier Schriftsteller. 1933 emigrierte er in die Schweiz, fünf Jahre später in die USA, die er nach dem Krieg wieder verließ. Er starb 1952 in Basel.

Hermann Kesser und Alma Mahler-Werfel

Über das Verhältnis Alma Mahler-Werfels zum Schriftsteller Hermann Kesser gibt sein Brief erstaunlich gut Auskunft. Kesser beschreibt, wie er Alma noch als Gattin Gustav Mahlers auf einem Musikfest "nur aus der Ferne" gesehen habe, wie dann ihre Bekanntschaft durch Franz Werfel zustande gekommen und er zu ihrem "unaufhörliche[n] Freund" geworden sei. Auch aus den vielen Briefen Hermann Kessers an Alma Mahler-Werfel, die an der University of Pennsylvania archiviert sind, läßt sich ein herzliches Verhältnis schließen.